Tantra ist doch einfach Gruppensex - oder was?

Obwohl Tantra inzwischen den Kreisen rund um die  bordeauxrot gekleideten AnhängerInnen von Osho entwachsen und im Mainstream angekommen ist, die Vorstellung, dass Tantraseminare und im speziellen Tantramassageseminare Gruppensexveranstaltungen sind, ist nach wie vor weit verbreitet.  

 

Dass Tantra etwas mit Sexualität zu tun hat, ist wohl mit allen Traditionen, Strömungen und Angeboten rund um Tantra der gemeinsame Nenner. Die ursprünglichen Wurzeln der tantrischen Philosphie aus dem Osten, die verschiedenen entwickelten Richtungen hier im Westen - sie reichen von Spiritualität über Persönlichkeitsentwicklung bis Prostitution: alle integrieren die Sexualität als grundlegende Lebenskraft. Unsere christliche Kultur hat uns genau das Gegenteil gelehrt: alles Körperliche, Sinnliche und Sexuelle ist abgewertet und sündhaft. Wenn du jetzt meinst, das sei doch schon lange alter Käse, wir erleben in unserer täglichen Arbeit immer wieder, wie tief diese schamhafte und sinnenfeindliche Kultur noch immer in unseren Zellen sitzt. 

 

Sexualität ist wohl einer der Begriffe, mit dem am meisten Projektionen, Sehnsüchte, Verletzungen und Hoffnungen verbunden sind. Es fällt uns schwer, natürlich und selbstverständlich über dieses Thema zu sprechen. Viele Frauen, Männer und Paare in unseren Seminaren sind froh und erleichtert, einen Ort zu haben, wo sie frei, offen und  persönlich ihre Fragen stellen und über ihre Bedürfnisse und Nöte rund um Sexualität austauschen können. 

 

Wenn also eine Gruppen von Menschen sich mit Sexualität beschäftigt und dies nicht nur rein intellektuell, sondern ganz handfest mit Berührung in Verbindung bringt, sind die Klischeevorstellungen und Bilder von Gruppensex natürlich schnell gemacht. Aber wo lässt sich denn ein Tantramassageseminar bitteschön einordnen, wenn nicht in dieser Ecke?

 

Die Grundausrichtung in unseren Seminaren ist tatsächlich im Sinne der Gemeinsamkeit aller tantrischen Richtungen: die sexuelle Energie verstehen wir als grundlegende Lebenskraft. Um diese Kraft zu integrieren, unterstützten wir vor allem die Verbindung zum Körper überhaupt, den Sinnen und den Gefühlen. Es geht um einen wertschätzenden und stärkenden Kontakt zu dir selber. Dies ist immer wieder auch die Basis, um in achtsame Begegnung und Berührung mit anderen Menschen zu gehen. Ein weiteres entscheidendes Element ist die Absichtslosigkeit in der Berührung, im Sinne von nichts erzeugen wollen. Genau dies ist im Zusammenhang mit Sinnlichkeit und Sexualität meistens umgekehrt konditioniert. Diese Grundhaltung der Absichtslosigkeit und des klaren Bei-dir-Bleibens, verstehen und erleben wir als Schlüsselelemente, die neue entspannende und verbindende Erfahrungen ermöglicht im Kontakt mit dem eigenen Körper, der Sinnlichkeit und sexuellen Energie. Wenn du ganz mit dir in deinem Körper im gegenwärtigen Moment verbunden bist ohne zu denken, machen oder kontrollieren, kommst du deinem in dir angelegten Wesen sehr nahe. Du kannst deine Essenz fühlen, spüren und erleben. Die Vorstellung im Zusammenhang mit Berührung, in der auch die sinnlichen und sexuellen Seiten zum Klingen kommen und dabei die Autobahn der Absicht und der Gegenseitigkeit zu verlassen, mag für den einen oder die andere überhaupt nicht attraktiv tönen oder ist sogar total unverständlich. Diese Erfahrung wird meist erst nachvollziehbar, wenn sie am eigenen Leibe erlebt wird und ist jenseits von wilden Gruppensexorgien. Es ist eher ein stilles und gleichzeitig lebendiges und mit dir selber verbundenes Erleben, das immer wieder beglückt, beseelt und nicht selten auch heilt. Eine solche Erfahrung lässt Wertschätzung für dich, deinen Körper, deine sexuelle Energie und die des Gegenübers wachsen und du wirst verbundener, authentischer, kraftvoller und entspannter in deiner Sexualität, in deinen Beziehungen und nicht zuletzt auch in deinem beruflichen Alltag. 

 

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Kommentare: 5
  • #1

    Karin (Samstag, 25 August 2018 15:23)

    Danke Armin fuer deine klare, erfrischende Erhellung zum Thema Tantra.
    Sexuelle Energie ist auch eine spirituelle, wie schoen, wenn wir unserer Schoepferkraft dadurch naeher kommen. In unserem irdischen Dasein ist es unsere Aufgabe uns zu beruehren, in koerperlichen Kontakt zugehen! Damit bin ich schon beim Thema Absichtslos: welch negativer Touch das Wort doch hat, wenn man damit erklaeren muss, dass es nichts mit klassischem GV zu tun hat.
    Persoenlich bin ich der Meinung, dass ich sogar mit viel Absicht in die Massage eintauche, mit klarer Absicht, Menschen tief zu beruehren und energetisch austausche. Gelebte Spiritualitaet durch physischen Kontakt zu zweit, zu dritt,... laesst uns in Verbindung kommen, mit mir, dir, der hoeheren Macht.

  • #2

    Daniele (Samstag, 25 August 2018 17:50)

    Sehr guter Artikel! danke

  • #3

    Sula (Samstag, 25 August 2018 18:21)

    Diese Worte wiederspiegeln zauberschön die vielen Facetten, welchen ich, im Zusammenhang mit dem Wort Tantra, immer wieder begegnen darf�.

  • #4

    Joshua (Montag, 27 August 2018 20:32)

    Ich bekenne mich hiermit dass ich einer derjenigen war der es am eigen Leibe erfahren musste um zu erkennen wie heilend der tantrische Weg in mir wirkt und mich mit meiner Essenz verbindet.

  • #5

    Armin & Barbara (Montag, 10 Dezember 2018 10:38)

    @Karin: danke dir für deine Worte und etwas spät, aber trotzdem ein paar Gedanken zurück von uns.

    Wir empfinden das absichtslos nicht so negativ, aber es stimmt natürlich nicht ganz. Da hast du recht. Für brauchen das Wort Absichtslosigkeit, weil für die meisten von uns, Sinnlichkeit und Intimität mit der Absicht Lust zu erzeugen, gekoppelt ist. Es muss gar nicht um Geschlechtsverkehr gehen. Genau da liegt für uns der grosse Unterschied in der Berührungsqualität und öffnet mit der Haltung der Absichtslosigkeit (im Sinne von nicht Lust erzeugen wollen) neue Räume und verbindet uns mit der Essenz.
    Herzlich Barbara & Armin